GUTEN TAG HERR KAMPMANN

Friedensreich Hundertwasser

Monsignore Otto Mauer hielt das Ausstellungsblatt von Walter Kampmann hoch in die Höhe und sprach ungefähr so: »Das ist das Werk des Teufels!« Er sprach dann von Wahnsinn, Kriegsende und Irrenhaus. Er sprach zu uns Studenten. Es war in der Hofburg, glaube ich, und es war ein Winterabend ungefähr im November im Jahre 1948. Ich stand am Fenster und schaute mehr hinaus als auf die Worte von Mauer. Draußen war es nebelig. Die Laternen hatten alle einen Heiligenschein. Genauso einen Heiligenschein wie die Bäume von Walter Kampmann.

Also konnte Kampmann nicht des Teufels sein. Oder war Mauer deshalb so böse, weil nur Heilige und Götter Heiligenscheine tragen dürfen und nicht Bäume und Laternenlichter. Ich wollte Otto Mauer immer fragen, was seinen Zorn auf Walter Kampmann hervorrief. Vielleicht verstand er damals noch nichts von den Wundern der modernen Malerei. Oder hatte ich etwas falsch verstanden? Vielleicht meinte er Picasso. Jetzt ist es zu spät. Otto Mauer ist tot. Ich hätte ihn noch vieles fragen wollen.

Wenn ich Laternenlichter im Nebelregen sehe und Bäume im Frost, dann denke ich an Walter Kampmann. Wenn man mich fragt, welche Maler mich beeinflußten, gebe ich immer Walter Kampmann an. Da er jedoch nicht bekannt ist wie zum Beispiel Klimt und Klee, läßt man seinen Namen, wenn man über mich schreibt, meistens aus. Aus Bequemlichkeit. So hatte ich einen großen Streit deswegen mit der U. C., dem University Art Museum in Berkeley, mit Telefonanrufen und Telegrammen. Ich bestand darauf, daß mein Ausstellungskatalog 1968 nochmals in Druck ging mit dem Namen Walter Kampmann.

Ich versuchte seit 1948 die Bäume so zu malen, wie Walter Kampmann sie zeichnete. Es gelang mir aber nie. Es wurden zwar Hundertwasser-Kampmann-Bäume, schon irgendwie durchsichtig und auch färbiger, aber ohne das tiefe Leuchten von innen her. Mein französischer Maler-Freund Brô war von meinen Kampmann-Bäumen so beeindruckt, daß er mir erlaubte, seine Brô-Spindelaugen, die er auch von irgendwoher hatte, in meinen Bildern zu verwenden, wenn ich ihn dafür die Kampmann-Bäume malen lasse.

Ich hoffe, Kampmann hat gegen diesen Export nichts einzuwenden, denn es gibt jetzt auch Brô-Kampmann-Bäume. Es handeln die Händler untereinander. Es tauschen aber auch die Maler untereinander mit fremder Ware. Kampmanns Ausstellung war 1948 in der Albertina. Im langen Saal auf schrägen Tischen unter Glas. Es waren aquarellierte Zeichnungen mit Weißhöhung. Sie haben mich hypnotisiert wie Ikonen in einer dunklen Kirche.

Glasklirrende Winterbäume.

Durchsichtige Bäume.

Bäume mit Aura.

Seelenbäume.

Werke, die an Gott anstoßen.

Man konnte hindurchschauen.

Aus jedem Baum drang Licht.

Man konnte nicht erkennen, ob es im Winterschnee war oder im saftigen grünen Sommer, ob die Bäume kahl waren oder belaubt, ob es Tag war oder Nacht, und doch war alles sehr genau dargestellt. Es gab keine Schatten. Dadurch wurden die Landschaften zeitlos. Es gab keine Farben. Und doch waren die Bilder nicht farblos, im Gegenteil.

Eine alte Frau ging an einem Haus vorbei, das war beleuchtet vom unheimlichen Licht der Seelenbäume ringsumher. Sie selber ging in einem Heiligenschein, der reichte von Kopf bis Fuß. Auf einem anderen Blatt waren Bombentrichter zu sehen wie tiefe eitrige Wunden.

Aber schön.

Zum Weinen.

Zum Verlieben.

Ich glaubte, die Kampmannblätter wären in der ständigen Sammlung der Albertina. Ich wollte damals nicht nochmal hingehen, sie wiederzusehen. Ich trug die Seelenbäume ja jahrelang ständig mit mir in mir. Man soll ja auch nicht noch einmal in die Kirche gehen, nachzuschauen, ob Gott noch da ist. Man soll auch kein zweitesmal in die Kirche gehen, damit Gott nicht fade wird.

Als ich aber nach zehn Jahren in der Albertina nach Kampmann fragte, kannte ihn keiner mehr. Niemand erinnerte sich an die Kampmann-Ausstellung. Es gab keinen Katalog, kein Kampmann-Ausstellungs-Faltblatt, keine Liste, keinen Hinweis im Archiv, daß so eine Ausstellung jemals stattfand.

Die Albertina besaß keinen Kampmann. Nur ein Bild, das mußte jedoch von einem anderen Maler stammen, so läppisch war es. Kampmann existierte nicht. So begann ich meine Suche nach Kampmann. In den Lexiken war er nicht verzeichnet. In anderen Nachschlagwerken waren mehrere Kampmann, jedoch ohne Abbildungen. War es Erich, war es Walter? Oder andere? Niemand konnte mir Auskunft geben.

Alle Kunstkritiker, Museumsleute, Sammler, Händler, Auktionäre und Maler schüttelten die Köpfe. Niemand kannte ihn. Ich kam in Panik. Ich beschloß, einen Privatdetektiv mit der Suche nach Kampmann zu betrauen. Endlich, nach sieben Jahren kam ich auf eine Spur: in Wuppertal? in Alpbach? in Berlin? in Braunschweig?

Ich traf Kat Kampmann, Winnetou Kampmann, Utz Kampmann und zuletzt Bodo Kampmann in Salzburg. Doch zuallererst traf ich Angelika Kampmann. Endlich war es soweit. Sie war Walter Kampmanns letztes Kind. Sie wurde geboren, als er starb. Kurz nachdem er die Seelenbäume malte. Er starb 1945 als die Russen kamen, östlich von Ostberlin. In der Wohnung von Angelikas Mutter Kat hing ein Bild von Walter Kampmann. Ein Märchenhügel mit glasklirrenden Winterbäumen. Ich traf Angelika zuerst in Berlin, dann am Genfer See.

Ich suchte Kampmann und fand sein Fleisch und Blut. Wir fuhren nackt im Auto den See entlang. Sie war zwanzig Jahre und sehr schön und überall braun. Ich fühlte ihre Haut und ich fühlte ihre Hände. Sie wußte wenig von den Seelenbäumen. Mir war heilig zu Mute.

 

Geschrieben »über den Wolken über Singapur nach Melbourne am 15. August 1974«.

Publiziert in:

Katalog „Walter Kampmann”. Galerie im Taxispalais, Innsbruck 1974

Schurian, Walter (Hg.): Hundertwasser – Schöne Wege, Gedanken über Kunst und Leben. Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv): München 1983, S. 27-31 und Ausgabe 2004 (Langen Müller Verlag, München), S. 22-25

Hirsch, Andreas (Hg.): Hundertwasser – Die Kunst des grünen Weges, Ausstellungskatalog KunstHausWien. Prestel Verlag: München 2011, S. 110 (Auszug)