Hundertwasser: Bildteppiche

Spielmann Heinz

Es ist noch nicht lange her, dass die Vorstellung, die Moderne verlaufe nach einem geradlinigen Programm, in mehr Köpfen spukte als heute, wo diese Idee zum Reservat einer kleinen Gruppe, an das Ende der Kunst glaubenden Ideologen wurde.

Ohne Zweifel gehört Hundertwasser zu denjenigen Künstlern, die der Vorstellung eines geradlinigen Fortschritts in Kunst und Kultur mit Skepsis gegenüberstehen. Viele seiner Schritte und Aktionen sind gegen den Fortschritt gerichtete Provokationen:
Sein Verschimmelungs-Manifest, dem in Hamburg praktische, didaktisch gedachte Experimente folgten; seine „unendliche Linie“, die die Hamburger Kunstschule einige Tage lang zum Labyrinth machte; seine Nacktreden, in denen er eine ideenlose, funktionale Architektur verspottete und denen eine Reihe weiterer Demonstrationen gegen eine mechanistische Architektur folgte. An solchen Aktionen gemessen nehmen sich seine Bildteppiche traditionell aus. Sicher: sie sind „traditionell“ in dem Beharren auf handwirklichen Verfahren und Prinzipien; sie sind „traditionell“ in ihrer Unbekümmertheit um alle neuen Experimente auf dem Gebiet des Bildteppichs, mit denen die Fläche, die bisher unbestrittene Modalität des Textilen erfolglos in Frage gestellt wird. Hundertwasser Bildteppiche sind jedoch auch „traditionell“ in dem Sinn, dass seine Kritik am Fortschritt immer den Aspekt der Tradition, den Aspekt des Erhaltens von menschlichen Qualitäten, ernst nimmt. Hundertwasser ist allerdings kein Traditionalist in dem Sinn, dass er eine Überlieferung als abgeschlossen ansähe. Die Schocks, die er provozierte, zeigten einem unorientierten Publikum, was er der Tradition an Neuem hinzufügte. Die Bildteppiche mögen zum erstenmal bewusst machen, dass das Traditionsbewusstsein die Grundlage seiner Provokationen ist.
Hundertwasser hat in seinem ersten Bildteppich das ihn kennzeichnende Verhältnis von Schock und Überlieferung verdeutlicht. Er führte ihn von Januar bis Juni 1952 selbst „eigenhändig und eigenfüssig“ am Webstuhl aus, in einer stattlichen Grösse von fast drei Metern Höhe, also beträchtlich grösser als alle seine Bilder.
Zu der Entstehung dieses Teppichs hat er einiges Aufschlussreiche gesagt: Er habe eine Wette mit den Webern Riedl und Schidl abgeschlossen gehabt, dass man auch ohne einen Karton einen Teppich weben könne. Die Wette habe er gewonnen, unter der Bedingung, dass er noch nie in seinem Leben so viel gearbeitet habe wie damals sechs Monate lang von „8 Uhr früh bis 8 Uhr abends…, … wie ein Affe, der mit allen vier Händen arbeitet…“. Die Darstellung des Teppichs entstand beiläufig:
„Ich begann mit den Zehen, daraus wurde dann ein Hosenbein, rechts daneben ein Haus…Da ich mit einer Hose begann, muss natürlich ein Körper, Arme und zum Schluss ein Kopf kommen, im Hintergrund eben Fenster, muss das Ganze natürlich oben ein Dach bekommen, und so brachte ich den Gobelin fertig und habe die Wette gewonnen…“
Was ist daran für ein unvorbereitetes Publikum schockierend? Sicher der Titel „Pissender Knabe mit Wolkenkratzer“. Da steht ein moderner Gargantua: Sein Strahl aus gelber Wolle geht zielsicher in eines der Fenster des Hauses, das er weit überragt: Mit der freien Hand balanciert er ein zweigeschossiges Atriumhaus: Ein unbekümmerter Verächter der Rasterwelt, die den Hintergrund bildet.
Wer seinen Gehalt so heiter provozierend wählt, kann auf ungewöhnliche Mittel verzichten. Hundertwasser hat die Webtechnik ebenso gehandhabt wie die Bauern Anatoliens, Nordafrikas und des Balkans in ihren Kelims, er hat aber schneller als diese die Technik sicher in den Griff bekommen, ohne Vorübung, zum Erstaunen des Webers Fritz Riedl, der jetzt mit einer Gruppe junger Eleven in Mexiko nach Hundertwassers Entwürfen Teppiche ausführt. Riedl sagt von ihm, dass er offenbar eine angeborene Beziehung zur Weberei besitzen müsse, und er erinnert an den Eindruck, den er von Hundertwasser gewann: Dies sei jemand, der „von weit her“ komme, also jemand, dem die Anfänge der Kunst vertraut seien. Mit anderen Worten ist damit wiederum eine Position gegen den Fortschritt beschrieben.
Das Beispiel des ersten Hundertwasser-Gobelins ist daneben – was kaum jemand registrieren wird – eine Art von salomonischem Urteil im Streit um die „richtige“ Art, einen Bildteppich zu machen, in einem Streit, der seit mehr als einem halben Jahrhundert geführt wird und der überflüssigerweise noch nicht zum Ende gekommen ist. Es geht um die Frage: Dürfen Entwerfer und Weber ein und dieselbe Person sein? Oder aber: Muss der Weber auch seinen Entwurf selbst liefern? Hundertwasser hat seinen unbekümmerten Knaben unbekümmert um solche Querelen erfunden, begonnen und zu Ende gebracht. Als er wusste, wie man einen Teppich macht, überliess er anderen die Verwirklichung seiner Bildideen, darauf vertrauend, dass die Übersetzung seiner Bilder in das textile Medium in den richtigen Händen läge. Die hier zum erstenmal im Zusammenhang ausgestellten Bildteppiche wurden von zwei Gruppen von Webern ausgeführt, die einen, ein wenig feiner strukturierten, von Hilde Absalon und Marga Person in Wien, die anderen, kräftiger aufgefassten, durch die „Gobelinos Mexicanos“ unter Leitung von Fritz Riedl in Guadalajara (Mexiko). Fritz Riedl hat darauf verwiesen, dass Hundertwassers Bildorganisation dem Bildteppich entgegenkomme: Die farbigen Flächen, die Konturen und klaren Kontraste, die Stofflichkeit seiner Farben. Man darf hinzufügen: Die Anknüpfung an Formen des Wiener Jugendstils, die Hundertwasser in einem neuen, veränderten Sinn zum Bild machte, hat ein handwerkliches Äquivalent in der Besinnung auf die Grundlage der „Wiener Werkstätte“, hat eine vergleichbare Zielsetzung in die Veränderung, die ein Raum durch eine gross aufgefasste Dekoration, durch einen solchen Eindringling wie den Bildteppich erfährt.
Natürlich besteht zwischen Hundertwassers Bildern und den Bildteppichen eine enge Verwandtschaft. Wer genau hinsieht, bemerkt jedoch bald, dass die Teppiche die unkomplizierteren Bildideen enthalten, solche, die sich in das textile Medium übersetzen lassen. Manche von ihnen besitzen eine plakative Unmittelbarkeit, etwa „der Kreis Felix“, das geglückte Urbild einer Hundertwasser-Spirale, die in der Grösse von drei Metern Länge ungleich programmatischer erscheint als in der kleineren Bild-Variante. Jeder der Hundertwasser-Teppiche hat ein solches „Urbild im kleineren Masstab“, das heisst, er besitzt eine von der textilen Ausführung unabhängige Verwirklichung als Malerei. Der Teppich trägt die gleiche Werk-Nummer, ist von dieser aber durch ein „A“ unterschieden. Jeden gibt es nur einmal. Hundertwasser, der seinen Werk-Katalog selbst führt, hält ihn auch mit den Bildteppichen in Ordnung.

 

Publiziert in:

Kat. der Ausstellung Hundertwasser Gobelins, Galerie Brockstedt, Hamburg, 1977